23. Juni 2004

Was wäre wenn?

Peter Struck ist krank. Wie krank er ist, weiß man nicht. Es gibt Gerüchte und Szenarien. Dabei geht es nicht nur um die Gesundheit des Ministers.

Fangen wir mit den Fakten an, die niemand bestreiten wird. Am 10. Juni 2004 steht Peter Struck schon früh am Morgen auf. Er macht sich startklar für eine ganz besondere Reise: die fünfte Freundschaftsfahrt der Motorsportgruppe des Bundestags. Mit rund 150 Motorrädern wollen Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten und eben der Bundesverteidigungsminister von Berlin nach Prag reisen und dann über Bayreuth, Kloster Banz und Wittenberg zurück. Solche Touren machen die Motorrad-Fans schon seit Jahren. Struck, dessen Dienstzimmer im Verteidigungsministerium mit Modellen besonders schöner Maschinen geschmückt ist, freut sich schon seit Wochen auf die Tour.

Aber dem SPD-Politiker ist nicht wohl an diesem Morgen. Er kämpft mit seinem Kreislauf. Ihm wird schwindelig. Er fällt in Ohnmacht. Der Notarzt wird gerufen. Um 5.30 Uhr steht der Rettungswagen vor Strucks Berliner Wohnung. Um kurz vor sechs Uhr wird der 61-Jährige in der Charité aufgenommen. Nach offizieller Darstellung - und hier verlassen wir den Boden der eigentlich unbestrittenen Tatsachen - hat Struck an jenem Morgen vor nunmehr zwei Wochen eine "akute Kreislaufschwäche" übermannt. Die offizielle Darstellung wird gestützt durch den Hinweis, dass Struck erst am 8. Juni von einer mehrtägigen Reise ans Horn von Afrika und nach Israel zurückgekehrt war. Eine Reise, die nach Aussagen von Teilnehmern äußerst strapaziös war: Unerträglich schwül sei es in Dschibuti gewesen, heißt es, nicht weniger heiß dann in Jerusalem. Struck habe weitgehend fit gewirkt, erzählen Mitreisende, was man nicht von jedem Delegationsmitglied hätte sagen können. Er sei auf der Rückreise in Zürich ausgestiegen, weil er dort noch einen Vortrag gehalten habe.

Die offizielle Darstellung, die Peter Strucks Sprecher Norbert Bicher seit einer guten Woche in immer den gleichen und insofern schon bleiern wirkenden Worten wiederholt, die offizielle Darstellung besagt weiter, dass sich Struck, nach einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen, jetzt zu Hause in Uelzen erholen werde; dass er erst Schonung benötige und dann seinen Urlaub antrete, und dass er im August wieder die Amtsgeschäfte aufnehmen werde. Das habe Struck am Dienstag auch dem Bundeskanzler mitgeteilt, den er im Bundeskanzleramt persönlich aufgesucht habe.

Norbert Bicher, Strucks Sprecher, hat ganz offensichtlich keine Lust, noch irgendetwas Zusätzliches, irgendetwas Belegendes oder Weiterführendes zum Gesundheitszustand seines Ministers von sich zu geben. Er wiederholt nur mit leicht genervtem Unterton und in besagter bleierner Wortwahl, was er in den vergangenen Tagen bereits hundertfach erzählt hat. Der Ärger Bichers hat allerdings seine Gründe. Seit ein paar Tagen ist mehr als die offizielle Version der Geschichte auf dem Markt. In Berlin gibt es ein großes Rätselraten über die Personalie Peter Struck. Eine Spekulationsblase ensteht.

In der Bild am Sonntag etwa ist es nicht eine Kreislaufschwäche gewesen, die den Minister überkam, es sind "ernste Herzprobleme". Der Kölner Stadt-Anzeiger hat in dieser Woche berichtet, dass Struck einen Schlaganfall erlitten habe. Die Geschichte geht um, Struck habe beim Eintreffen des Notarztes Lähmungserscheinungen gezeigt und Sprachprobleme gehabt, was in die selbe Richtung deuten würde. Der Tagesspiegel will in Regierungskreisen gehört haben, dass Strucks Rückkehr im August eher unwahrscheinlich sei. Die Bild-Zeitung geht am Mittwoch schon auf Nachfolgersuche: Olaf Scholz, der Ex-Generalsekretär der SPD, Günter Verheugen, der EU-Kommissar, Reinhold Robbe, der Chef des Verteidigungsausschusses.

Norbert Bicher findet diese ganzen Gerüchte "perfide". Nichts sei dran, sagt er. An seiner Version der Geschichte müsse kein Jota geändert werden. Struck käme im August wieder zurück. Man hört fast das "Basta" mit, das Bicher denkt. Aber der Sprecher hat schon keine Chance mehr. Was auch immer Bicher macht, die Geschichte hat eine Eigendynamik bekommen, sie schreibt sich selbst fort. Informationen, von denen niemand weiß, ob sie falsch oder richtig sind, reihen sich munter aneinander. Es entstehen Szenarien, alternative Szenarien, Gewissheiten. Die offizielle Darstellung des Ministeriums jedenfalls gilt nicht mehr allen unbedingt als glaubhaft; selbst wenn die Geschichte vom Schlaganfall auch nicht stimmiger wirkt.

Die Wahrheit könnte irgendwo in der Mitte liegen. Es ist ja nicht auszuschließen, dass Peter Struck an jenem Donnerstagmorgen vor zwei Wochen knapp an einem Schlaganfall vorbeigesegelt ist. Es ist ja nicht auszuschließen, dass ihm sein Sohn Nikolaus, der Arzt ist, eine längere Abwesenheit von Stress und Termindruck empfohlen hat; von der Verbannung der geliebten Pfeifen-Sammlung in eine hübsche Schmuck-Vitrine mal ganz abgesehen. Es ist zudem nicht völlig abwegig, dass Peter Struck dann Ende Juli, am Ende der Schonzeit sozusagen, doch auf den wirklich freundschaftlich gemeinten Rat des CSU-Verteidigungsexperten Christian Schmidt hören wird, jetzt für eine Weile "den Struck vor den Verteidigungsminister" zu stellen. Für eine Weile. Oder für immer.

Aber noch hat Peter Struck sich wohl nicht entschieden, da hat sein Sprecher Recht. Struck lässt sich Akten nach Uelzen kommen, heißt es. Er ist an manchen Tagen auch in Berlin. Am vorvergangenen Mittwoch hat er im Krankenzimmer des Bundestags an der namentlichen Abstimmung zur Rentenbesteuerung teilgenommen. Am Freitag hat er offenbar seinen Staatssekretär Peter Eickenboom getroffen. An diesem Dienstag war er, wie gesagt, im Kanzleramt zu Gast. Abends. Zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Gerhard Schröder. Es ist ein wichtiger Besuch gewesen für den Kanzler. Schröder ist noch nicht sehr lange ein Anhänger von Peter Struck; noch vor ein paar Jahren konnten die beiden Niedersachsen eher weniger miteinander anfangen. Als SPD-Fraktionschef hat Struck seinem Kanzler nicht nur Freude gemacht; 1999 hätte Schröder ihn fast abgelöst, weil er ein Steuer-Sommertheater vom Zaun gebrochen hatte. Seit Peter Struck aber kurz vor der Bundestagswahl 2002 als Nachfolger des glück- und gespürlosen Rudolf Scharping an die Spitze des Verteidigungsministeriums rückte, muss Schröder eigentlich ein ausgemachter Struck-Fan geworden sein.

Das Ressort ist sichtlich in guten Händen; der Minister genießt hohes Ansehen in der eigenen wie in den gegnerischen Parteien. Der Umbau der Bundeswehr, aus dem leicht ein Dauerärgernis hätte werden können, wird von Struck fast geräuschlos vorangetrieben. In den inoffiziellen Kompetenz-Ranglisten des Bundeskabinetts nimmt Struck schon deshalb seit Monaten eine Spitzenstellung ein. Kein Wunder also, dass ständig über die weitere Karriere des Verteidigungsministers spekuliert wird. Bis in die Union hinein gilt Peter Struck als einziger ernst zu nehmender Anwärter für die Nachfolge Gerhard Schröders, sollte der Bundeskanzler auf halbem Wege hinschmeißen wollen. Struck selbst zeigt keinerlei offenen Ehrgeiz. Ständig macht er klar, dass er der Bundeswehr noch eine Weile treu bleiben möchte. "Meinen Soldaten", wie er sagt. Wenn er zwischen ein paar Rekruten am Tisch sitzt und sich bei Bier oder Cola erzählen lässt, was die Leute bedrückt, geht er darin sichtbar auf. Wenn er gefragt wird, welche Kabinettsposten er noch übernehmen könnte, macht er dicht. "Hört doch auf mit dem Quatsch", winkt er ab. Er wirkt dann so, als habe er sich nie im Leben etwas Anderes gewünscht, als Verteidigungsminister zu sein. Und als sei er das auch schon ewig. Dabei ist dieser Mann noch nicht einmal zwei Jahre im Amt. Und dabei hat er dieses Amt lediglich aus Parteiräson und eigentlich nur für eine Übergangszeit übernommen. Es ist dann offenbar so etwas wie Liebe draus geworden. Schröder wird wissen, dass er so Einen nicht leicht wieder finden wird.